Schatten über der Osterinsel – welche Faktoren führten zum Bevölkerungsrückgang auf Rapa Nui?

Titelbild: Wikimedia Commons, Yansa sunflower.

Mitten im südlichen Pazifik liegt die Osterinsel, die zu den abgelegensten Orten der Welt zählt. Die Insel ist ein vulkanischer Gipfel, der einsam aus dem Wasser ragt und die nächste menschliche Siedlung findet sich erst auf der mehr als 2.000 km entfernten Insel Pitcairn. Ungefähr 3.500 km im Osten liegt der südamerikanische Kontinent, das polynesische Tahiti liegt ca. 4.200 km nordwestlich.

Trotz ihrer Abgeschiedenheit haben die Bewohner dieser Insel Einzug in die westliche Popkultur erhalten. Über sie wurden Bücher geschrieben und Filme gedreht. Der Anlass war allerdings düster – denn es ist vor allem der Niedergang der Osterinsel-Zivilisation, der fasziniert.

Besonders viel Aufmerksamkeit erregte in diesem Zusammenhang die These des US-amerikanischen Anthropologen Jared Diamond, der den Bevölkerungseinbruch auf die Umweltzerstörung zurückführte und damit einen Ökozid ausmachte. In seinem Buch „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ versucht er die These auf unterschiedliche Weise zu untermauern: er führt Berichte von Forschungsreisenden an, nutzt moderne archäologischer Untersuchungen, beruft sich auf mündliche Überlieferungen und versucht aufgrund geographischer und historischer Begebenheiten Schlüsse zu ziehen. 

Im nachfolgenden Text soll die These von Diamond geprüft werden.

Inhalt

Jared Diamonds Ökozid-These

These

Kritik

Alternative Thesen

Rattenthese

Genozidthese

Kombiniertes Modell

Fazit

Quellen & Literatur

Ein Hinweis zu den Begriffen: um Verwechselungen vorzubeugen, werde ich  „Rapa Nui“ als Namen für die Osterinsel und „Rapanui“ als Bezeichnung für die Einwohner nutzen.

Jared Diamonds Ökozid-These

These


Im Jahr 2002 reiste Jared Diamond zur Osterinsel, um sich selbst ein Bild von den örtlichen Begebenheiten zu machen. Das Eiland gehört zu den kleineren, bewohnten Inseln Ozeaniens. Die Form ähnelt einem Dreieck, mit einer Länge von 24 km und einer maximalen Breite von 13 km. Erloschene Vulkane bilden eine hügelige Landschaft. Die höchste Erhebung ist der Gipfel des Maunga Terevaka im Norden, der ungefähr 500 m Höhe erreicht.

Rund um die Insel finden sich an den Küsten ungefähr 300 steinerne Zeremonialplattformen verteilt, die in der Rapanui-Sprache ahu genannt werden. Auf ungefähr ein Drittel von ihnen standen 393 tonnenschwere Steinstatuen, die moai. Sie stellen männliche Körper mit langen Ohren und ohne Beine dar. Einige Figuren tragen eine Art Hut, der pukao genannt wird.
Bis vor wenigen Jahren waren diese alle umgeworfen. Diamond vermutet, dass sie gezielt so umgestoßen wurden, dass sie am Hals brechen konnten. Dies könnte ein Indiz für eine bewegte Vergangenheit der Insel sein.

Weitere Hinweise darauf finden sich im Krater des Vulkans Rano Raraku, der ungefähr 600 m Durchmesser hat. Er diente den Rapanui als Steinbruch. Hier befinden sich weitere 397 Statuen im unterschiedlichen Fertigungszustand. Sie sind zumeist zwischen vier und sechs Metern groß. Die größte Statue erreicht eine Höhe von 21 Metern. Das Gewicht dieser Figuren variiert von 10 bis 270 Tonnen.
Von diesem Steinbruch führte eine Transportstraße heraus. Sie verzweigte sich und bot die Möglichkeit an die unterschiedlichen Küsten zu gelangen. Am Rande des Weges lassen sich weitere 97 Steinstatuen finden.
Thor Heyerdahl ließ sich von den Rapanui zeigen, wie die Statuen errichtet wurden:

Es wurde eine Steinrampe erbaut und die Figur mit der Unterseite voran auf die Plattform hochgezogen. Anschließend hebelte man den Kopf ein wenig hoch und füllte Sand darunter. So konnte Stück für Stück die Figur errichtet werden. Die Steine der Rampe konnten anschließend in der Plattform verbaut werden.

In diesen Figuren manifestierte sich ein enormer Arbeitsaufwand, aus dem die Wichtigkeit für die Gesellschaft abzuleiten ist. Dass diese Figuren umgestoßen wurden und achtlos am Wegesrand lagen, kann daher auf ein besonderes Ereignis in der Geschichte Rapa Nuis hindeuten. Jared Diamond vermutet, dass sich hier die Endphase eines Ökozids zeigte.

Topografische Karte mit Standorten der moai (Quelle: Wikimedia Commons).

Aus der Zeit dieser Umwälzung gibt es keine schriftlichen Quellen, weder von Rapanui, noch von Europäern. Die ersten Europäer, die die Insel betraten, waren der niederländische Seefahrer Jacob Roggeveen und seine Crew. Sie sahen die Insel am Ostersonntag, dem 5. April 1722, und nannten Rapa Nui dementsprechend Osterinsel.

Diamond zitiert aus dem Reisebericht Roggeveens. Der berichtete über die schlecht gebauten Kanus. Die Boote bestanden aus uneinheitlich verarbeiteten, kleinen Planken und Holzbalken, die mit Fäden zusammengebunden waren. Die Ritzen sollen so groß gewesen sein, dass die Rapanui die Hälfte der Zeit mit Wasser schöpfen verbrachten.
Für den amerikanischen Anthropologen ist dies ein Hinweis darauf, dass der Niedergang zu dieser Zeit schon stattgefunden haben muss. Denn wie sollten die Vorfahren der Rapanui auf solchen Schiffen die isolierte Insel erreicht haben können?

Roggeveen beschrieb die Landschaft der Osterinsel als Ödland. Kein Baum oder Busch sei größer als 3m und von der See aus wirkte die Insel sandig, da ihr Grund mit verwelkter und versengter Vegetation bewachsen war. Der Niederländer stellte sich die Frage, wie die beeindruckenden Steinstatuen ohne Hilfe von kräftigen Seilen und Holzbalken aufgerichtet worden sein konnten.

Doch es fehlten nicht nur Baumaterialien, auch die Ernährung gestaltet sich auf einer solchen Insel schwierig. Durch den kargen Bewuchs konnte der Wind ungehalten über das Land wehen und die Ernte vernichten. Diamond berichtet von dem Versuch aus jüngster Zeit, bei dem Brotbäume gepflanzt wurden und deren Früchte vor der Reife von den Bäumen geblasen wurden.

Der Amerikaner schätzt auch die Fischerei als nicht sonderlich leistungsstark ein, da er darauf hinweist, dass es relativ wenige Fischarten gäbe: „nur 127 Arten im Vergleich zu mehr als 1000 auf den Fiji-Inseln“.
Aus diesem Grund sollen den Berichten der ersten Europäern nach, auf Rapa Nui die Einwohner nicht viele Meerestiere verspeist haben, sondern trotz der schlechten Bedingungen Süßkartoffeln, Yams, Taro, Bananen und Zuckerrohr angebaut haben. Dazu wurden Hühner gehalten.

Ein weiteres Problem stellte das fehlende Süßwasser dar. Nach polynesischen Maßstäben regnet es wenig und das Wasser versickert schnell im porösen Vulkanboden. Deswegen gibt es heute nur einen einzigen Bach, der auch austrocknen kann, und nur drei Seen. Diese sind in den Vulkankratern, bei denen der Grundwasserspiegel nahe der Oberfläche ist.

Alles das sind schlechte Voraussetzungen, um eine Zivilisation hervorzubringen, die über die technischen Möglichkeiten verfügte, die moai aufzustellen. Jared Diamond geht daher davon aus, dass die Tier- und Pflanzenwelt der Insel zuvor weitaus üppiger gewesen sein muss.
Das versucht Diamond mit Hilfe von archäologischen Untersuchungen herzuleiten:

Der Paläontologe David Steadman bestimmte die früheste Besiedlung mit Hilfe der C14-Datierung anhand von Holzkohle und Knochen von Delphinen, die von Menschen verspeist wurden auf das Jahr 900. Die Proben stammen aus der ältesten Schicht des Anakena-Strandes, der sich von seiner Lage her gut für eine erste Siedlung eignete.

In der Blütezeit sollen mehrere tausend Menschen auf der Insel gelebt haben. Die Schätzungen gehen weit auseinander und reichen von 6.000 bis 30.000 Einwohner. Umgerechnet auf die Größe der Insel sind das 35 bis 174 Personen je Quadratkilometer.

Diamond berichtet, dass er nach Ansicht der prähistorischen Landwirtschaft die hohe Einschätzung von Claudio und Edmundo von mindestens 15.000 Einwohnern plausibel findet.

Diese enorme Bevölkerungsdichte benötigt große Nahrungsmengen, zumal die Rapanui durch die harte Arbeit einen ungefähr 25 Prozent höheren Nahrungsbedarf hatten. Dafür gibt es Indizien:
Es finden sich eine Reihe archäologischer Spuren. Beispielsweise zwei Steindämme, durch den Bach, der den Vulkan Terevaka entwässerte, die einen Teil eines Wasserverteilungssystems darstellten, das in ähnlicher Form an anderen polynesischen Orten eingesetzt wird.
Aus archäologischer Sicht besonders markant sind die 1233 Hühnerställe, die robust aus Stein gebaut wurden.

Um die Ernte zu schützen, wurden die Gärten mit bis zu 30 cm hohen Felsaufschüttungen umrandet. Diamond erwähnt ein Gespräch mit dem Archäologen Barry Rolett, der darauf hinwies, dass er noch nie auf einer polynesischen Insel war, „[…] wo die Menschen so verzweifelt gewesen wären, dass sie wie hier kleine Steine im Kreis aufschichteten, um ein paar mickrige Taropflanzen vor dem Wind zu schützen“. Zusätzlich konnte mit den Steinen der Boden abgedeckt werden, so dass Regen nicht so schnell ablaufen und die Verdunstung verringert werden konnte. Es gab eine mineralisierende Wirkung für den Boden und eine bessere Wärmeregulierung.

Durch Pollenanalyse lässt sich die Vegetation aus prähistorischer Zeit erstellen. Der Palynologe Olof Seeling untersuchte Proben, die Thor Heyerdahl von den Kratern des Rano Raraku und des Ranu Kau mitbrachte, und entdeckte Pollen einer unbekannten Palmenart, die heute nicht mehr auf der Insel heimisch ist. Aus Sedimentbohrkernen, die 1977 und 1983 erbohrt wurden, konnten Makroreste sichergestellt werden: fossile Palmennüsse. Diese ähneln den Früchten, der Chilenischen Honigpalme, die eine Höhe von 20 Metern und einen Durchmesser von einem Meter erreichen kann, waren aber sogar noch größer. Aus Abdrücken von Wurzelstücken wurde auf einen Durchmesser von über 2 Metern geschlossen.

Eine solche Palme bietet Baumaterial: die Stämme könnten für Flöße und den Aufbau der moai genutzt und die Palmwedel könnten als Segel oder Dachabdeckung genutzt worden sein. Die Kerne wären ein energiereiches Nahrungsmittel. Zusätzlich könnte Saft aus dem Stamm gewonnen werden, um Wein, Honig oder Zucker einzukochen. Eine dieser gigantischen Palmen könnte im Jahr mehr als 400 Liter Saft liefern.

Durch die Analyse von Holzkohle sind 16 weitere Pflanzengattungen bestimmt worden, die in dieser oder ähnlicher Form auch auf anderen Inseln Polynesiens heimisch sind. Darunter zwei groß Baumarten. Diamond zieht daraus den Schluss, dass die Osterinsel zu Beginn der menschlichen Siedlungsphase von einem artenreichen Wald bewachsen war.

Auch die Fauna war vor dem Niedergang weitaus artenreicher. David Steadman untersuchte 6433 Knochen von Vögeln und Wirbeltieren aus einem Abfallhaufen aus der Frühzeit am Anakena-Strand: heutzutage gib es keine Landvogelarten auf Rapa Nui, doch zu dieser Zeit lebten 6 Arten dort, dazu 25 Seevogelarten, wie Albatrosse, Tölpel und Seeschwalben. Desweiteren entdeckte der Archäozoologe Überreste von Seetieren wie Fischen, Meeresschildkröten, Muscheln, Robben und Delphine. Der Gemeine Delphin, dessen Knochen gefunden wurden, wird bis zu 75 kg schwer und lebt im offenen Wasser. Man musste ihn daher mit seetüchtigen Kanus und Harpunen jagen, was besondere technische Fertigkeiten verlangt.

Auffällig war die große Anzahl an Rattenknochen, die sogar zahlreicher als Fischüberreste waren.

Nach der mündlichen Überlieferung und nach archäologischen Befunden, konnte die Osterinsel in 11 oder 12 Regionen unterteilt werden, die von jeweils einer Sippe dominiert wurden. Jedes Territorium besaß einen Häuptling und eine zeremonielle Plattform mit Statuen. Durch die Pracht der Statuen konnten die einzelnen Regionen miteinander wetteifern.
An dieser Stelle hat Jared Diamond das Bild der frühen Siedlungsphase komplett beschrieben: Rapa Nui war eine dicht besiedelte Insel, deren Tier- und Pflanzenwelt die Menschen ernähren konnte und deren Baumaterial die Errichtung der moai ermöglichte. Wie kam es dann zum Kollaps dieser Zivilisation?

Sowohl bei den Pflanzen, Tieren und der Anzahl der errichteten Statuen lässt sich mit der Zeit ein Rückgang feststellen. Die Abholzung der Wälder begann mit Ankunft der Menschen, erreichte ihren Höhepunkt um 1400 und führte je nach Ort zu einer kompletten Entwaldung zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert. Dazu passt die Veränderung der Anzahl der errichteten Statuen, die ein wenig zeitversetzt anstieg und abfiel: der Höchstwert lag in den Jahren zwischen 1400 und 1600, im 18. Jahrhundert lag die Zahl 70% darunter.

Wie robust ein Wald auf einer Pazifikinsel ist, hängt von mehreren Faktoren ab: u.a. Trockenheit, Kälte, hohes Alter, fehlende Vulkanasche, kleine Größe, Isolation und ein flaches Profil sind Gründe für eine stärkere Waldzerstörung.
Die Rapanui hatten das Pech, dass ihr Lebensraum besonders anfällig für Waldverlust war.

Der fehlende Wald wirkte sich vielfältig auf die Menschen aus: es fehlte an Nahrung und an Baumaterial, aber auch an Brennmaterial. Die Nächte im Winter können bis auf 10° Celsius abkühlen und fehlendes Feuer würde sich auf die Lebensqualität auswirken. Auch Leichen konnten nicht mehr auf die gewohnte Weise eingeäschert werden.

Diamond zitiert den Kapitän eines französischen Schiffes, dass 1838 an der Insel anlegte, um damit zu verdeutlichen, wieviel Wert das Holz für die Rapanui hatte:
„»Alle Einheimischen verwendeten häufig und aufgeregt das Wort miru und wurden ungeduldig, als sie sahen, dass wir es nicht verstanden: Dieses Wort ist der Name des Holzes, das die Polynesier zum Bau ihrer Kanus verwenden. Es war das, was sie am dringendsten brauchten, und sie bedienten sich aller Mittel, um uns dies verständlich zu machen …«.

Ohne Holz konnten keine seetüchtigen Kanus gebaut werden und damit brach ein kompletter Zweig der Ernährung weg. Delphine und Hochseefische lagen in unerreichbarer Ferne. Um das zu kompensieren, wurden andere Tierarten vermehrt gejagt, mit der Folge, dass beispielsweise die Landvögel ausstarben. Das einzige Nahrungsmittel in freier Wildbahn, das konstant in ausreichendem Maß zur Verfügung stand, scheint das Rattenfleisch gewesen zu sein.
Zu dem eingeschränkten Ertrag durch Sammeln und Jagen nahmen auch die angebauten Nahrungsmittel ab. Durch die fehlenden Wälder war der Schutz vor Wind und Sonne schwieriger, mit der Folge, dass die Erde austrocknete und der Boden erodierte. Tiefer liegende Landschaften wurden von der verwehten Erde bedeckt, teilweise so, dass die Menschen ihre Wohnorte aufgeben mussten.

Fehlende Ressourcen und Nahrungsmittel führen zu sozialem Unfrieden. Jared Diamond berichtet, dass unzureichende Nahrung teilweise durch Kannibalismus ausgeglichen wurde. Als Beleg führt er an, dass Menschenknochen nicht nur in Gräbern, sondern auch in Abfallhaufen gefunden wurden und dass in den Überlieferungen der Kannibalismus breiten Raum einnimmt. So gibt es Beschimpfungen, wie „Das Fleisch deiner Mutter hängt zwischen meinen Zähnen“.

Durch den schwindenden Wohlstand wurde die Herrschaftsstruktur brüchig. Die Häuptlinge und Priester galten als Verwandte der Götter, doch nun waren sie nicht in der Lage, für die Inselbewohner zu sorgen und verloren so an Einfluss.

Es folgten Bürgerkriege. Überall auf der Insel verstreut finden sich mata’a, das sind Speerspitzen aus Obsidian, die aus dieser Periode stammen sollen. Der Einfluss der alten Eliten schwand und an den Küsten, wo einst nur ihre Häuser standen, siedelten nun auch einfache Bürger. Andere Menschen suchten hingegen den Schutz in Höhlen. Diamond vermutet, aus Sicherheitsgründen, da die Eingänge teilweise verschlossen wurden und nur ein enger Tunnel blieb.
Nach Diamond weisen die mündlichen Überlieferungen darauf hin, dass die letzten ahu und moai um das Jahr 1620 errichtet worden wären. Danach wetteiferten die unterschiedlichen Gruppierungen nicht mehr durch das Aufstellen eigener Statuen, sondern durch das Zerstören von moai feindlicher Sippen. Indem man sie nach vorne kippte, konnten sie auf der Steinplatte zerbrechen.

Inwieweit die Zerstörungen abgeschlossen waren, als die Europäer die Insel besuchten, ist schwer zu fassen:
Roggeveen war nur kurz an einer Stelle vor Ort. Von einer spanischen Expedition aus dem Jahr 1770 gibt es keine Informationen außer Eintragungen im Schiffslogbuch. Erst Kapitän Cook untersuchte die Insel 1774 gründlicher. Er schickte eine Aufklärungstruppe in das Hinterland. Diese fanden sowohl umgeworfene als auch aufstehende moai vor.

1838 gab es noch einen Europäer, der von einer stehenden Statue berichtete. In den Berichten ab 1868 wurden nur noch umgeworfene Figuren vorgefunden. Der mündlichen Überlieferung zufolge wurde 1840 der letzte moai umgeworfen, den eine Frau zu Ehren ihres Ehemannes errichtet haben soll und der von Feinden der Familie zerstört wurde.
Auch die Plattformen selbst wurden attackiert. Man brach einen Teil der Steinplatten heraus, verwendete sie beispielsweise für eine eigene Gartenmauer oder Grabkammer und entweihte sie damit.

Die Überlebenden mussten sich auf eine neue Welt einstellen. Es entstand eine neue Religion und ein eigener Kunststil. Die Ernährung wurde vermehrt durch Hühnerfleisch sichergestellt, was sich archäologisch in einer starken Zunahme an Hühnerställen ab dem Jahr 1650 aufzeigen lässt.
Die Ausständigen rechtfertigten den Putsch durch die neue Religion. Der Schöpfergott Makemake, der zuvor nur einer von vielen war, wurde nun zur wichtigsten Gottheit.

Jared Diamond allerdings sieht als Grund für die Kriege nicht die Religion, sondern den Kampf um die weniger werdenden Ressourcen, der wiederum durch die Waldzerstörung verursacht wurde. Hier gab es seiner Meinung nach eine ökologische Katastrophe, einen Ökozid.

Kritik


Die Beweisführung von Diamond greift auf schriftliche Quellen, Oral History und archäologische Studien zurück. In diesem Kapitel möchte ich prüfen, wie aussagekräftig die unterschiedlichen Gattungen sind.
Die schriftlichen Quellen der frühen europäischen Reisenden sind nur ein kleiner Teil der Indizienkette von Diamond. Da die Europäer nach dem vermuteten Kollaps die Insel besuchten, sind sie nur indirekte Zeugen. Ihre Beschreibungen könnten helfen zu verstehen, ob Rapa Nui im 18. Jahrhundert wie eine niedergegangene Zivilisation wirkte.

Die beiden Hauptzeugen sind Roggeveen und Thomas Cook.
Hier ist zu prüfen, welche Intention die Verfasser hatten und welche Möglichkeiten sie hatten, Wissen zu gewinnen.
Jakob Roggeveen war ein Seefahrer und Forschungsreisender, der auf einer Weltumseglung unbekannte Gegenden erkunden wollte. In seinem Entdeckertagebuch („Dagverhaal der ontdekkings-reis“) schrieb er die Ereignisse nieder.

Roggeveen lag nur einige Tage vor der Insel und seine Expeditionstruppen konnten daher nur einen flüchtigen Eindruck von der Insel erhalten. Das erklärt vielleicht die Widersprüche, die man in den Reisetagebüchern entdeckt.
Roggeveen schreibt:

„[…]dewyle wy het selve niet alleen niet zandig, maer in tegendeel uytnemend vrugtbaer bevonden hebben, voortbrengende bananas, pataddes, suykerriet van by sondere dikte, en veele andere soorten van aardvrug. ten; doch gedestitueerd van groote boomen en vee, behalven hoenderen“. Roggeveen (1838), 10. April 1722. 

Nach eigener Übersetzung: „[…] derweil fanden wir es 
nicht nur nicht sandig, sondern haben es im Gegenteil als äußerst fruchtbar befunden, es 
bringt Bananen, Kartoffeln, Zuckerrohr in besonderer Dicke und viele weitere Erdfrüchte 
hervor; doch arm an großen Bäumen und Vieh, mit Ausnahme Hühner.“

Der niederländische Admiral gesteht der Insel zu, durchaus fruchtbar zu sein, da hier allerhand Früchte vorzufinden sind. Allerdings weist er auf die Abwesenheit von großen Bäumen und Vieh hin.

An dieser Stelle ist eine andere Quelle interessant. Roggeveen selbst setzte keinen Fuß auf die Insel, aber erhielt die Informationen von seiner Mannschaft. Zu dieser gehörte Carl Friedrich Behrens, der ebenfalls einen Reisebericht veröffentlichte. Hier ist Vorsicht geboten, da es neben der Originalausgabe von 1738 eine Neuauflage von Hans Plischke gibt, die nicht nur die Sprache modernisiert, sondern auch Stellen auslässt, missinterpretiert und eigene Kommentare ohne Kennzeichnung dort einfügt.

Carl Friedrich Behrens berichtet von seinem Ausflug auf die Insel. In einer Beschreibung der Häuser, findet sich ein Hinweis, dass auch Palmen verbaut wurden:

„[…] die Häuser waren 40 bis 60 Schuh lang, 6 bis 8 Schuh breit, und so hoch von hölzernen Stangen aufgerichtet, auch mit Leim verschmiert, und mit Palmblättern bedeckt“.  
Behrens (1738), Die XI. Abteilung.

Es zeigt sich, dass im 18. Jahrhundert für die Dachbedeckungen noch genügend Palmen vorhanden sein mussten. Die Osterinsel ist ein hügeliges Land. Es besteht die Möglichkeit, dass es noch Wälder auf der Insel gab, die Expeditionstruppe von Roggeveen diese bei ihrem kurzen Aufenthalt aber nicht gesehen hat.

Hügelige Osterinsel (Wikimedia Commons, Bjørn Christian Tørrissen).

Die hügelige Lage bewirkt einen ungleich verteilten Regenfall auf der Insel. Dieser sogenannte „rain shadow effect“ sorgt dafür, dass es ein unterschiedliches Mikroklima auf der Insel gibt. Ein Teil kann also nicht für das Ganze genommen werden.

Roggeveen sieht das Problem bei der Bewirtschaftung der Insel eher bei den Einwohnern, nicht bei den natürlichen Begebenheiten:

Sulks dit land,wegens syne vet te aarde en goede lugt-streek, tot een aardsch Paradys te maeken is, indien betselve behoorlyk wierd ge cultiveerd en bearbeyd, 't geen nu alleen gedaen werd, naer mate dat de Inwoonders benoodigd syn tot onderhoud des levens.“  
Roggeveen (1838), 10. April 1722. 

Nach eigener Übersetzung: „Solches Land kann wegen 
der Erde und der guten Luft zu einem irdischen Paradies gemacht werden, indem es 
gebührend kultiviert und bearbeitet wird; was jetzt nur in dem Maße getan wurde, wie die 
Einwohner zum Lebensunterhalt benötigten.“

Aber auch bei diesem Urteil ist Vorsicht geboten. Die Landschaft wurde nur oberflächlich untersucht und Roggeveen könnte den Rapanui gegenüber voreingenommen gewesen sein. Das zeigt sich beispielsweise an der Vermutung, dass die Inselbewohner ihre Frauen aus Eifersucht versteckten. Naheliegender wäre es, dass die Einwohner ihre Frauen aufgrund der Gefahr durch die Fremden versteckten, da deren erste Handlung nach Betreten der Insel ein Massaker an den Rapanui war.

Von dem englischen Forschungsreisenden James Cook finden sich Logbucheinträge zu Rapa Nui, das er 1774 besuchte. Er ist nur kurze Zeit vor Ort, da er an andere Stelle sein Wasser auffüllen lassen muss, daher ist sein Eindruck ebenfalls flüchtig. Als Abgrenzung zu Roggeveen schreibt er:

„Dies ist unzweifelhaft dasselbe Eiland, welches von Roggeveen im April 1722 gesehen ward, wenn auch die Beschreibung, welche von ihm durch den Autor gegeben war, in keiner Weise dem entspricht, was selbige Insel heute darstellt“. Cook (2011), Die Erforschung des Pazifik, 1774.

Doch in Bezug auf die Nahrung ähnelt seine Beobachtung der von Roggeveen. Er erwähnt Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Wurzeln, Taru, Feigen, Kürbisse und Zuckerrohr. An fleischlicher Kost Hühner und Ratten. Fische scheint es in Küstennähe kaum zu geben.

Im Gegensatz zu Behrens sieht er Zuckerrohr und Feigenblätter zur Abdeckung der Häuser. Ob dies eine zeitliche Änderung ist, eine lokale Variation oder ob einer der Entdecker die Pflanzengattung falsch kategorisiert hat, ist nicht zu klären. Allerdings sollte die Bestimmung der Palmenblätter für Behrens möglich gewesen sein, da die Form recht eindeutig ist.
Auch an dieser Detailfrage lässt sich erkennen, dass die Berichte der europäischen Reisenden nicht einfach einzuordnen sind und daher wenig aussagekräftig sind, um die Frage nach dem Niedergang der Osterinselzivilisation zu klären.

Ähnlich problematisch sind die mündlichen Überlieferungen. Jared Diamond bezieht sich auf Aufzeichnungen von europäischen Besuchern aus dem 19. und 20. Jahrhundert, allerdings ist keine genaue Quelle angegeben. Aus den Überlieferungen rekonstruiert er Teile der Geschichte der Rapanui und er erwähnt, dass der Kannibalismus einen breiten Raum in den Erzählungen einnimmt, was als Hinweis für den brutalen Bruch der Zivilisation gedeutet wird.

Der israelische Kulturwissenschaftler Benny J. Peiser sieht hinter den Kannibalismus-Anschuldigungen ein Narrativ, das aus einer Zeit stammt, in dem europäische Wahljäger und Plünderer die Einwohner der Insel attackierten. Damit besteht der Verdacht, dass die Rapanui dadurch diffamiert werden sollte. Die erste Erzählung dieser Art fand im Jahr 1845 den Weg in die Medien, in das französische Journal „L’univers“. In diesem als Sensationsstory aufgemachten Artikel wurde die Geschichte eines Kommandeurs eines französischen Schiffes erzählt, dem die Flucht vor den Kannibalen gelang.
Peiser sieht darin keine seriöse Quelle und führt als Gegenstimme die erste wissenschaftliche Expedition aus dem Jahr 1914 an, die Rapa Nui untersuchte. Die Eingeborenen verneinten den Forschern gegenüber, dass sie oder ihre Väter Kannibalen gewesen seien.

Gegenüber der Oral History der Osterinsel muss viel Skepsis bleiben und daher kann hier kein starker Hinweis auf den Kollaps der Zivilisation zu finden sein. Die mündlichen Überlieferungen wurden erst lange nach dem vermuteten Ereignis aufgenommen und es gibt den Verdacht, dass die Berichte darüber tendenziös sind.

Ein wichtiger Bestandteil der Argumentation Diamonds ist der Verweis auf archäologische Forschung. Hier sind besonders drei Fragen von Interesse:
– Ab wann wurde die Insel besiedelt?
– Wie viele Menschen haben in der Hochzeit auf der Insel gelebt?
– Wie hat sich der Waldrückgang entwickelt?

Die erste Frage wurde von einigen neuen Studien anders als von Jared Diamond beantwortet. Der Amerikaner ging von einer Erstbesiedlung ungefähr ab dem Jahr 900 aus. Neuere Messungen haben auf unterschiedliche Weise ein späteres Datum von 1200 ermittelt, mit den Methoden der Radiokarbon- und der Obsidian-Hydration-Datierung .
Es kann sein, dass es frühere Besiedlung gab, allerdings gibt es dafür keine archäologische Evidenz, die von allen Forschern akzeptiert wird. Eine spätere Besiedlung macht das Szenario von Diamond nicht unmöglich, aber es wird weniger wahrscheinlich, da für das Bevölkerungswachstum weniger Zeit blieb.

Die zweite Frage, die nach der Maximalbevölkerung, ist noch schwieriger zu klären. Puleston u. a. nutzen ein „food limited demography”-Modell um eine Antwort zu finden. Mit Hilfe von Stickstoffmessungen kann das Ernährungspotential der Insel abgeschätzt werden. Das Forscherteam ermittelte einen hohen Wert von 17500 Einwohnern oder mehr, die auf der Insel gelebt haben könnten. Allerdings darf diese Aussage nicht überinterpretiert werden. Die Forscher weisen in einem späteren Paper darauf hin, dass die Berechnung des Bevölkerungspotentials die Frage nach der Möglichkeit des Kollapses nicht beantworten könne und sie weisen zusätzlich darauf hin, dass sie in einer anderen Untersuchung herausgefunden hatten, dass es in einigen Gegenden einen Bevölkerungsrückgang vor dem Eintreffen der Europäer gab, aber in anderen nicht.

Viele Archäologen schätzen das tatsächliche Bevölkerungsmaximum weitaus geringer ein. Hunt geht von einem Maximum von 3000 Einwohnern aus, vielleicht ein wenig höher um das Jahr 1350.

Es gibt keine aktuelle Metastudie zu der Frage nach der maximalen Bevölkerung. So wird in einem Paper von 2019 noch auf Flenley und Bahns Studie von 2003 verwiesen, die Schätzungen von 6000 bis 8000 als geläufig ansieht.

Die Frage nach dem Bevölkerungsmaximum lässt sich nicht eindeutig klären. Wenn Hunt mit seiner geringen Schätzung recht hätte, dann hätte es keinen richtigen Kollaps gegeben, da die Zahl der Einwohner nur geringfügig über der Zahl lag, die für die Zeit des Eintreffens der Europäer geschätzt wird.
Zur Frage der Entwaldung gibt es eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 von dem Biologen Valenti Rull. Er fasst seine Ergebnisse zusammen:

– Der Waldrückgang war nicht abrupt, nicht synchron und nicht inselweit.
– Das Tempo der Entwaldung variiert je nach Ort. In Raraku begann der Rückgang bereits 450 v. Chr. und war 2000 Jahre später noch nicht vollständig abgeschlossen. In Aroi wurde der Wald dagegen in weniger als einem Jahrhundert zerstört.
– An einigen Orten gibt es auch Phasen der Erholung.
– Die Ursachen sind vielfältig: Dürren, menschlicher Einfluss, Klimaveränderungen durch die Kleine Eiszeit, Feuer und mehr.
– Trotz Waldverlust bewirtschafteten die Rapanui ihre Äcker im gleichen Maß.
Abschließend folgert Rull, dass die Entwaldung ein heterogener Prozess in Bezug auf Zeit und Ort war, der sowohl natürliche als auch menschliche Ursachen hatte. Und dies würde nicht zu dem Szenario des Ökozids passen.


Alternative Thesen

Die Ratten-These


Der amerikanische Archäologe Terry L. Hunt rückt einen Faktor in den Fokus, der bei Jared Diamond nebensächlich behandelt wurde: die Rattenpopulation. Diamond hat dies sicher bewusst unterlassen, da ihm das Schadenspotential von Ratten nicht unbekannt ist. Er hatte bereits 1985 dazu in der Science publiziert.

Dennoch verdient dieser Punkt eine genaue Betrachtung. Auf der Osterinsel wurde in allen Phasen eine große Menge an Rattenknochen in den Abfällen gefunden. Das zeigt, dass es an Ratten keinen Mangel gab. Sie sind in der Lage, sich extrem schnell zu vermehren. Unter guten Bedingungen ist eine Verdoppelung innerhalb von 6 oder 7 Wochen möglich. Damit wäre ein einzelnes Rattenpärchen in der Lage, innerhalb von 3 Jahren ca. 17 Millionen Nachkommen zu zeugen.

Dies sind nur theoretische Werte, die ein Gefühl für die Schnelligkeit der Vermehrung erzeugen, die aber aufgrund von begrenzenden Faktoren in der freien Wildbahn so nicht erreicht werden können. Daher bietet es sich an, einen realen Vergleich heranzuziehen, um die mögliche Zahl an Ratten auf Rapa Nui abschätzen zu können.

Auf einem ähnlichen Breitegrad, wie die Osterinsel liegt das hawaiianische Kure-Atoll. Dort wurde in den 1970er Jahren ein Rattendichte von 45 pro Morgen Landfläche ermittelt. Übertragen auf Rapa Nui würde das eine Gesamtpopulation von 1,9 Millionen Nagetieren bedeuten. Mit Blick auf die bessere Nahrungsversorgung auf der polynesischen Insel könnte die Anzahl sogar noch höher gewesen sein – Hunt führt die Schätzung von 3,1 Millionen Ratten an, 75 je Morgen.

Aus einer Untersuchung der hawaiianischen Insel Oahu ist bekannt, dass Ratten in der Lage sind, Regionen zu entwalden. In der Ewa-Ebene fand die Zerstörung des Palmenwald zwischen 900 und 1100 statt. Der Mensch nahm diesen Ort erst ab 1250 in Besitz und kann damit nicht verantwortlich gemacht werden. Auch klimatische Erklärungen lassen sich nicht finden. Dafür gab es viele Spuren der polynesischen Ratte, die durch den Mensch auf die Insel gebracht wurde, und den Wald ungestört zerstören konnte.
Ähnliche Ergebnisse liefern Studien von anderen Hawaiiinseln. Dort zeigte die Pollenanalyse, dass Palmenpollen stark rückläufig waren, bevor es Spuren von Holzkohle gab. Holzkohle ist ein Indikator für Feuer und damit für menschliches Leben.

Die Tiere ernähren sich von den Nüssen der Palmen. Wenn sie genügend essen, wachsen weniger Bäume nach und damit verringert sich die Bewaldung. Auf Rapa Nui gibt es im Gegensatz zu Hawaii keine Gebiete, die sich aufgrund der Höhenlage den Ratten komplett entziehen und damit ist er auf der gesamten Fläche gefährdet.

Allerdings stellt sich mit der Zeit ein Räuber-Beute-Equilibrium ein. Das bedeutet, dass die Ratten nicht den kompletten Wald zerstören würden, außer es kommen weitere Faktoren hinzu. Das könnte im Fall der Osterinsel beispielsweise die Feldwirtschaft gewesen sein.

Hunt zeigt auf, dass durch die Nagetiere die Lebensverhältnisse auf der Insel schwieriger wurden. Er sieht allerdings keinen Niedergang der Rapanui-Zivilisation und wendet sich gegen die Dramatisierung als Ökozid. Dieses Narrativ würde durch falsche Datierungen und Spekulationen über eine hohe Bevölkerungsanzahl konstruiert werden. Hunt geht davon aus, dass die Population bis zum Eintreffen der Europäer stabil blieb. Diese bringen dann Seuchen und Konflikte und einen stärkeren Bevölkerungsrückgang.
Ein Data Science Team um William Basener konnte die These von Hunt mathematisch modellieren. Sie gehen sogar einen Schritt weiter und weisen darauf hin, dass nach diesen Modellen die Ratten durch die Vernichtung der Bäume einen Kollaps der menschlichen Zivilisation einleiten könnten.

2007 äußerte sich Diamond zur Ratten-These. Er verwirft sie, mit dem Hinweis, dass auch andere Inseln von Ratten überlaufen waren, ohne, dass es da zu diesen Schäden kam und dass es auf der Osterinsel Baumstümpfe gab, die abgehackt und angebrannt wurden. Er schreibt sarkastisch: „If rats were responsible, they were unusual ones, equipped with fire and hatchets“.

Die Genozidthese


Auch die nachfolgende These kommentierte Diamond: er nannte sie eine Version von Rousseaus „der edle Wilde“-Mythos. Die Anhänger dieser Sichtweise gehen davon aus, dass sich die Situation erst durch die Europäer zum Schlechten wendete. Dazu gehört der Kulturwissenschaftler Benny Peiser, der 2005 ein Paper gegen die Ökozid-These veröffentlichte.
Für ihn sind die Beweise Diamonds nicht überzeugend. Er kritisiert die schwache Aussagekraft der schriftlichen und mündlichen Zeugen und schenkt den Studien mehr vertrauen, die keinen großen Bevölkerungsdruck auf der Insel ausmachen. Dazu zitiert er den Archäologen Atholl Anderson, der die Schätzungen zum Bevölkerungsmaximum für spekulativ hält und darauf hinweist, dass vielleicht nie mehr als die 2000 bis 3000 Menschen auf der Insel lebten. Weiter führt er aus, dass Krieg auf den polynesischen Inseln endemisch sei, aber dies kein Indikator für einen demographischen Kollaps sei.
Die härtesten Einschnitte sieht Peiser in den Übergriffen der Europäer in den 1860er- und 1870er-Jahren. Sklavenhandel und Bevölkerungsumsiedlung führten zur Zerstörung der Kultur der Rapanui.

Mehr als 50 dieser Überfälle mussten die Einheimischen im 19. Jahrhundert über sich ergehen lassen. Der erste Angriff von Sklavenhändlern erfolgte 1805. Nach blutigen Kämpfen konnten sie 12 Männer und 10 Frauen entführen.

Der Sklavenraub in den 1860er Jahren nahm ein größeres Ausmaß an. Im Oktober 1862 wurden 150 Einheimische gefangen und in Peru für jeweils 300$ verkauft. Zwischen Dezember 1862 und März 1863 wurden geschätzt 1.000 bis 1.400 Rapanui von Sklavenhändlern entführt. Darunter der König Karnakoi und sein Sohn. In den nachfolgenden Monaten sollen 90 Prozent der Bevölkerung an der schlechten Behandlung und an Seuchen gestorben sein.
Die letzten Angaben beruhen auf Schätzungen und sind daher mit Vorsicht zu betrachten. Ähnliches gilt für die Bewertung, wie viele Opfer diese Übergriffe insgesamt gekostet haben. Wieder ist es das Problem, dass die genaue Bewohnerzahl vor und nach diesen Ereignissen nicht erfassbar ist und die Schätzungen weit auseinandergehen und zwischen 3.000 und 20.000 Einwohnern liegen.

Auch wenn hier die genaue Zahl nicht ermittelt werden kann, ist offensichtlich, dass die Angriffe von außen die Rapanui-Zivilisation stark schädigten. Peisel schreibt, dass die Annihilation 1877 praktisch abgeschlossen war. Zwar gab es im Jahre 1888, nachdem die Insel von Chile annektiert wurde, eine Wiederbesiedlung einiger Überlebender, aber ihnen wurde als Lebensraum für fast 100 Jahre nur ein kleines Camp zugesprochen.

Kombiniertes Modell


Die Ökologen Brandt und Merico haben im Jahr 2015 drei unterschiedliche Szenarien der Bevölkerungsentwicklung auf den Osterinseln modelliert.
Es wurden Modelle zu den Thesen des Ökozids und des Genozids erstellt und zusätzlich wurde ein langsamer Niedergang nachgestellt. In diesen Szenarien verhalten sich die Merkmale „Anzahl der Bevölkerung“, „Anzahl der Ratten“ und „Anzahl der Palmen“ unterschiedlich.

Der „Langsame Niedergang“ enthält Elemente aus den anderen beiden Szenarien, versucht diese aber gemäßigt auszulegen. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass der Mensch die Umwelt zerstört, aber nicht bis zum letzten Baum. Auch die Übergriffe durch Fremde werden weniger einschneidend als im Genozid-Modell bewertet.

Die Grafiken zur Entwicklung der Anzahl von Menschen, Ratten und Palmen in den unterschiedlichen Szenarien werden bei Researchgate dargestellt:

https://www.researchgate.net/profile/Gunnar-Brandt/publication/272830262/figure/fig1/AS:272032659144719@1441869049097/Population-dynamics-of-humans-A-C-rats-D-F-and-palm-trees-G-I-Results-are-shown.png

Die Studie konnte kein eindeutiges Ergebnis liefern und spiegelt die Probleme der wissenschaftlichen Diskussion wider. Die klaren Punkte, wie der finale Einfluss der Europäer, der Höhepunkt der Rattenpopulation und der Rückgang der Palmen führen nicht dazu, dass ein Modell sicher ausgeschlossen werden könnte. Durch die Unsicherheiten und Unschärfen der archäologischen Daten bleibt so viel Spielraum, dass jedes dieser historischen Narrative gesponnen werden könnte.

Trotzdem präferieren die beiden Forscher das Model des langsamen Niedergangs, da aus einem statistischen Blickwinkel die Radiokarbondaten dafürsprechen.

Fazit

Die Frage nach dem Ökozid auf der Osterinsel ist ein hochaktuelles Thema. Die Menschheit steht einer Menge von Umweltproblemen gegenüber: Klimawandel, Überfischung, Insektensterben und viele weitere Bedrohungen könnten das Leben zukünftiger Generationen in Bedrängnis bringen. Aus diesem Grund wären Beispiele wie das der Osterinsel wichtig, um die Auswirkungen eines falschen Umgangs mit der Umwelt anhand eines eindrucksvollen Beispiels demonstrieren zu können. Es bleibt aber die Frage, ob tatsächlich ein Ökozid auf Rapa Nui stattgefunden hat.

Terry Hunt wirft Jared Diamond und anderen Anhängern dieser These vor, für das noble Ziel, die Umwelt zu schützen, mit Fehlern und Übertreibungen zu arbeiten. Doch dies würde nur zu vereinfachten Antworten führen, dem komplexen Ökosystem nicht gerecht werden und letztlich sogar dem Umweltschutz schaden.

Diesen Vorwürfen würde ich nicht folgen. Jared Diamond hat seriös gearbeitet. Als er sein Buch schrieb, war er auf den aktuellen Stand der Forschung und kannte auch die Einwände gegen seine These, die er aber als nicht gewichtig genug einstufte, um von seiner Idee abzurücken.

Das Problem liegt daran, dass wichtige Kennzahlen, wie das Bevölkerungsmaximum, nicht eindeutig gebildet werden können. Durch diese Unschärfen sind viele Narrative möglich und diese Möglichkeit wird allseits genutzt.


Das Szenario des „Langsamen Niedergangs“ von Brand und Merico scheint am überzeugendsten zu sein. Hier lassen sich die unterschiedlichen Ergebnisse der aktuellen Forschung am einfachsten unterbringen:
– Sowohl menschliche Eingriffe als auch natürliche Ereignisse sorgten für einen Rückgang der Waldfläche. Hier können die Rattenschäden hinzugerechnet werden.
– Dieser Rückgang war je nach Ort und Zeit unterschiedlich ausgeprägt.
– Es gab keine inselweite Entwaldung.
– Es gab wahrscheinlich Kriege, aber keine, die zur kompletten Vernichtung führten.
– Es scheint eine durchgehende Nahrungsversorgung gegeben zu haben, die aber eher schlechter, als besser wurde.
– Die europäischen Sklavenhändler töteten und versklavten viele Menschen und vollendeten den Niedergang der Rapanui-Zivilisation.

Aber auch hier bleiben Fragen offen:
Es müssten die genauen Einflussgrößen der unterschiedlichen Faktoren bestimmt werden. Hierzu wäre weitere archäologische Forschung nötig. Um sichere Aussagen treffen zu können, wäre vor allem eine bessere Schätzung der Bevölkerungsentwicklung wichtig. Ob derartige Eingrenzungen möglich sind, ist wiederum unsicher.

Es bleibt die Frage, warum die Statuen ab einen gewissen Zeitpunkt nicht mehr neu gebaut, sondern zerstört wurden. Hier könnte Diamonds Vorstellung auch bei dem Szenario des „Langsamen Niedergangs“ korrekt sein. Auch ohne einer extremen Zuspitzung der Lage wäre es möglich, dass zunächst die Rohstoffe zur Aufstellung der Figuren ausgingen und dass anschließend ein Bürgerkrieg oder viele kleine Konflikte für die Zerstörung der bestehenden moai sorgten.

Abschließend lässt sich sagen, dass Jared Diamonds Herausarbeitung des Ökozids in dieser Form möglich wäre, aber nicht wahrscheinlich ist. Hier stellt sich die Frage, auf welche Weise man archäologische Daten interpretieren kann und wieviel man spekulieren darf. Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen, vor allem unter den Gelehrten der Ur- und Frühgeschichte, die stark von archäologischen Untersuchungen abhängig sind.

In seinem Buch hat Jared Diamond die eine oder andere gewagte These vertreten, die aber transparent hergeleitet. Er hat die Streubreite von wichtigen Daten angegeben und auf Gegenpositionen hingewiesen. Damit bleibt es dem mündigen Leser überlassen, inwieweit er Diamond folgen mag.

Quellen

Behrens, Karl Friedrich (1738): Der wohlversuchte Südländer : Reise um die Welt 1721/22. Leipzig. Online verfügbar unter http://digital.slub-dresden.de/id352209372/1, zuletzt geprüft am 07.08.2022.
Cook, James (2011): Entdeckungsfahrten im Pazifik. Die Logbücher der Reisen 1768-1779.
Roggeveen, Jacob (1838): Dagverhaal der ontdekkings-reis van Mr. Jacob Roggeveen, met de schepen den Arend, Thienhoven, en de Afrikaansche galei, in de jaren 1721 en 1722. Met toestemming van Zijne Excellentie den minister van kolonien uitg. door het Zeeuwsch genootschap der wetenschappen. Middelburg. Online verfügbar unter https://books.google.nl/books?id=bW9SAAAAcAAJ&vq=1659&dq=1659&hl=de&source=gbs_navlinks_s, zuletzt geprüft am 05.08.2022.

Literatur

Basener, William; Brooks, Bernard; Radin, Michael; Wiandt, Tamas (2008): Rat instigated human population collapse on easter island. In: Nonlinear dynamics, psychology, and life sciences 12 (3), S. 227–240.
Brandt, Gunnar; Merico, Agostino (2015): The slow demise of Easter Island: insights from a modeling investigation. In: Front. Ecol. Evol.
Diamond, Jared (1985): Ecology: Rats as agents of extermination. In: Nature 318 (6047), S. 602–603.
Diamond, Jared M. (2006): Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt am Main.
Diamond, Jared (2007): Archaeology. Easter Island revisited. In: Science (New York, N.Y.) 317 (5845), S. 1692–1694.
Hunt, Terry L. (2006): Rethinking the fall of Easter Island. In: American Scientist (September), S. 412–419.
Hunt, Terry L. (2007): Chronology, deforestation, and” collapse:” Evidence vs. faith in Rapa Nui prehistory. In: Rapa Nui Journal 21 ((2) October), S. 85–97.
Hunt, Terry L.; Lipo, Carl P. (2009): Revisiting Rapa Nui (Easter Island) “Ecocide”. In: Pacific Science 63 (4), S. 601–616.
Hunt, Terry; Lipo, Carl (2012): Ecological Catastrophe and Collapse: The Myth of ‘Ecocide’ on Rapa Nui (Easter Island). Online verfügbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2042672, zuletzt geprüft am 13.08.2022.
Jakubowkska-Vorbrich, Zuzanna (2012): Behrens’ narrative of the discovery of Easter Island: Two editions, two personalities, two realities. In: Rapa Nui Journal 26 ((1) May).
Peiser, Benny (2005): From Genocide to Ecocide: The Rape of Rapa Nui. In: Energy & Environment 16 (3-4), S. 513–539.
Puleston, Cedric O.; Ladefoged, Thegn N.; Haoa, Sonia; Chadwick, Oliver A.; Vitousek, Peter M.; Stevenson, Christopher M. (2017): Rain, Sun, Soil, and Sweat: A Consideration of Population Limits on Rapa Nui (Easter Island) before European Contact. In: Front. Ecol. Evol. 5, Artikel 69.
Puleston, Cedric O.; Ladefoged, Thegn N.; Haoa, Sonia; Chadwick, Oliver A.; Vitousek, Peter M.; Stevenson, Christopher M. (2018): Response: Commentary: Rain, Sun, Soil, and Sweat: A Consideration of Population Limits on Rapa Nui (Easter Island) before European Contact. In: Front. Ecol. Evol. 6, Artikel 72.
Stevenson, Christopher M.; Puleston, Cedric O.; Vitousek, Peter M.; Chadwick, Oliver A.; Haoa, Sonia; Ladefoged, Thegn N. (2015): Variation in Rapa Nui (Easter Island) land use indicates production and population peaks prior to European contact. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 112 (4), S. 1025–1030.

Schreibe einen Kommentar

Wir benutzen Cookies um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch Deinen Besuch stimmst Du dem zu.